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Die Auflösung des Subjekts oder: Feministische Kämpfe gegen- statt miteinander?

13. Februar 2024 Mona Dierkes

„FLINTA – Subjekttheoretische Implikationen eines Akronyms“ – unter diesem Titel hielt die Politikwissenschaftlerin Chantalle El Helou im Rahmen der Veranstaltungsreihe „KriDi – Kritischer Dienstag“ an der Uni Duisburg-Essen am 14. November 2023 einen Vortrag. Bereits im Vorfeld hatte das autonome feministische Referat (FemRef) der Uni Duisburg-Essen auf Instagram ein Statement des Feministischen Referats der Uni Oldenburg geteilt. Dort hatte El Helou den Vortrag wenige Wochen vorher gehalten. Im Statement warf das FemRef Oldenburg ihr unter anderem Transfeindlichkeit, Homophobie und einen Vergewaltigungswitz vor, ohne dies jedoch inhaltlich näher zu begründen oder zu belegen. Dieser Beitrag resümiert zum einen den Vortrag selbst, zum anderen nimmt er aber auch die geäußerte Kritik unter die Lupe.

FLINTA oder Frauen?

Zunächst zum Vortrag selbst: Frau El Helou begann mit der Begriffsbestimmung des FLINTA-Akronyms (Frauen – Lesben – Intersexuell – Non-Binary – Transgender – Agender) als aktuellen Bezugspunkt und gab einen kurzen Überblick über dessen ideengeschichtliche Entwicklung. Der Begriff FLINTA wird in linken Strukturen zunehmend anstelle von ‚Frauen‘ verwendet, beispielsweise an Toilettentüren, da er ‚Frauen‘ als Identitätskategorie beinhalte. Dadurch sollen feministische und queere Kämpfe vereinigt und Ausschlüsse vermieden werden. El Helou schloss, dass FLINTA demnach als Negativ-Definition angelegt sei: Unter FLINTA werden verschiedene Kategorien des biologischen Geschlechts (sex), der Geschlechtsidentität (gender) sowie der Sexualität subsummiert. Deren Gemeinsamkeit bestehe vor allem in der Erfahrung verschiedener Dimensionen von Unterdrückung durch das nicht näher bestimmbare Patriarchat sowie in der Devianz von als männlich verstandenen Identitätskonstruktionen. Dahinter stehe das Ziel, die im Kontext feministischer Bewegungen entstandenen Kämpfe gegen den gemeinsamen Gegner Patriarchat zu vereinen und mittels subversiver Dekonstruktion von Identitäten letztendlich die Auflösung von Geschlechtsidentität zu bewirken („Gender-Exit“).

Butlers Dekonstruktion

Ausgehend von diesem aktuellen Diskursgegenstand lieferte El Helou im Hauptteil ihres Vortrags eine ideengeschichtliche Analyse der subjekttheoretischen Implikationen des FLINTA-Begriffs am Beispiel der Queer-Theorie Judith Butlers und fragte danach, inwiefern diese zur Erweiterung des Wortes ‚Frau‘ durch ,FLINTA‘ in linken Szenen beigetragen habe. Dabei arbeitete El Helou heraus, dass Butler nicht nur die Geschlechtsidentität, sondern auch das Subjekt selbst dekonstruiere.

Butler beginne mit der Dekonstruktion der Herrschaft des männlichen Subjekts, indem sie sich auf Lacans Definition der Frau als Mängelwesen, als passives aber gleichzeitig notwendiges Sehnsuchtsobjekt des männlichen Begehrens bezieht. Zudem definiere sie das Subjekt-Sein als nur durch den Bezug zu anderen erfahrbar und damit als grundsätzlich bedingt durch gender. Gleichzeitig blende Butler die körperliche Dimension von Geschlecht (sex) und Sexualität aus, indem sie sexuelles Begehren, ähnlich wie gender, als gesellschaftliche Konstruktion betrachte.

Kritik an Butler

Butler übernehme die von ihr selbst kritisierten stereotypen Geschlechterbilder, indem sie grundlegende Subjektpositionen wie das aktive Begehren und die Handlungsfähigkeit weiterhin als männlich verorte. Butlers politische Folgerungen, also der Kampf gegen „das Männliche“ und die positive Affirmation „des Weiblichen“, führten, so El Helou, final zu einer Auflösung des Subjekts selbst.

Letztlich kritisiere Butler ein System gesellschaftlicher Machtverhältnisse und dekonstruiere die geschlechterbezogenen Verortungen darin. Sie leite daraus jedoch nicht die Notwendigkeit zur Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ab, sondern propagiere die Neuverortung der Subjekte innerhalb dieses Systems (z. B. „Ich bin keine Frau“, „Ich identifiziere mich als nonbinär“). Dies sei jedoch eine antiemanzipatorische Forderung. Darüber hinaus vernachlässige Butler die Relevanz der physischen Dimension menschlichen Daseins in ihrer Analyse, insbesondere in Bezug auf das biologische Geschlecht und daran anknüpfend die Sexualität. Obwohl die Dekonstruktion von gender notwendigerweise auch die (Hetero-)Sexualität als Ausdruck binärgeschlechtlicher gesellschaftlicher Machtverhältnisse infrage stelle, vernachlässige Butler in ihrer Analyse, dass sich sexuelles Begehren nicht ausschließlich, aber primär auf physisch-geschlechtliche Merkmale richte. Indem sie die körperliche Dimension von Sexualität negiere, fasse sie Sexualität implizit als eine weitere genderbedingte Identitätskategorie auf, was die Veränderlichkeit dieses Begehrens mit einschließe.

Die ausschließliche Konstituierung des Subjekts über die Differenz zu anderen erzeuge im Endeffekt einen Fokus auf diese Differenz, das „Anderssein“ werde so zum identitätsstiftenden Selbstzweck.

Vermeidung der offenen Debatte?

Am Ende des Vortrags war noch Zeit für Diskussion. Aus dem Publikum wurden vor allem einzelne Begrifflichkeiten nachgefragt und einige Gedankengänge weitergedacht. Einige Teilnehmer*innen kritisierten, dass El Helou Butler falsch interpretiere, begründet wurde dies jedoch auf Nachfrage nicht.

Das eingangs erwähnte vorwurfsvolle Statement, das ein paar Tage später vom FemRef der Uni DuE bei Instagram veröffentlicht wurde, erschließt sich mir vor dem Hintergrund der erlebten Veranstaltung nicht. Im Rahmen der Diskussion und auch noch danach boten sich Zeit und Raum, etwaige Kritikpunkte ausführlich darzulegen, wodurch der Referentin die Möglichkeit gegeben worden wäre, darauf zu reagieren.

Das FemRef beklagt außerdem, es habe keine Möglichkeiten zur Vorbereitung gegeben und der Vortrag habe nicht dem Titel entsprochen. Doch die besprochenen Begriffe werden alle in der Vortragsankündigung genannt. In dieser wird auch ausgeführt, dass der Vortragsinhalt sich nicht primär auf das FLINTA-Akronym bezieht, sondern dieses lediglich als phänomenologischer Ausgangspunkt einer ideengeschichtlichen Analyse des Subjekts in den Queer Studies am populären Beispiel Butlers dient. Das „verzerrte Framing“, welches El Helou im Post des FemRef vorgeworfen wird, findet sich dort selbst.

Fehlende Ambiguitätstoleranz und Diskursbereitschaft?

So sei im Vortrag behauptet worden, dass „reproduktive Potenz den Menschen ausmache“, was als essentialistische Argumentation ausgelegt wird. Allerdings fehlt der Kontext, in dem diese Aussage fiel. Tatsächlich ging El Helou im Rahmen ihrer Kritik an der Entkörperung der Sexualität bei Butler darauf ein, woran sich biologisches Geschlecht festmachen lässt, und nannte diese Definition. Zuvor hatte sie betont, dass sexuelles Begehren nicht ausschließlich körperlich ist, aber das biologische Geschlecht dabei eine zentrale Rolle spiele.

Zudem habe El Helou „explizit queerfeindliche Rhetorik verwendet und besonders Transmenschen das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen“. Wie genau Frau El Helou dies getan haben soll, wird allerdings nicht erläutert, die Diffamierung des Vortrags als queer- und transfeindlich bleibt unbelegt.

Außerdem werden El Helou in der Besprechung des FemRefs wiederholt Aussagen zugeschrieben, die sie im Vortrag eindeutig nicht als ihre eigenen, sondern paraphrasierend als die Butlers bzw. als die anderer Theoretiker wie Lacan, die zentral sind in Butlers Argumentationen, auswies. Wenn aber in einer Kritik an einem Vortrag nicht unterschieden wird zwischen Bezugnahmen auf Gedankengänge anderer und den eigenen Ausführungen der Referentin, werden grundlegende Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens nicht beachtet. Daher liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die Rezension des FemRefs weniger von fachlichen Kriterien geleitet ist, sondern eher die affirmative Ablehnung der identitätskritischen Implikationen des Vortrags widerspiegelt.

Ambiguitätstoleranz, ideelle Offenheit und Diskursbereitschaft stellen für mich wesentliche Werte feministischer Debatten dar. Zunehmend gipfeln Auseinandersetzungen in der letzten Zeit in Diffamierung und Ausschluss von Feministinnen durch andere Feministinnen. Ich wünsche mir, dass der feministische Kampf nicht gegen, sondern mit anderen Frauen geführt wird.

Chantalle El Helou hat einen kleinen Essayband geschrieben, in dem sie ihre zentralen Kritikpunkte am Queerfeminismus kurz und knapp darlegt. Der Band ist mit 80 Seiten sehr übersichtlich, leicht zu lesen und bietet einen guten Einstieg ins Thema:

Chantalle El Helou: Vom Queersexismus zur Emanzipation. Ein Lagebericht mit Auswegen. Berlin: Querverlag 2023.

Zitation: Mona Dierkes: Die Auflösung des Subjekts oder: Feministische Kämpfe gegen- statt miteinander?, in: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 13.02.2024, www.gender-blog.de/beitrag/aufloesung-des-subjekts/, DOI: https://doi.org/10.17185/gender/20240213

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Mona Dierkes

Mona Dierkes hat Fotografie an der FH Dortmund studiert und bearbeitet den Themenkomplex Subjekt-Identität-Gesellschaft an den Schnittpunkten von Kunst und Geisteswissenschaften. Ihre Fotoreihe „perks of being a woman“ wurde 2022 mit dem Design&Gender-Preis der FH-Dortmund ausgezeichnet. Sie schreibt für das jährlich zum Frauenkampftag erscheinende „FrauSein-Zine“.

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